06. Jul 2020
Die Europäische Union will klimaschädliche Kältemittel zurückdrängen. Innerhalb von zehn Jahren soll sich ihr Einsatz drastisch verringern. Noch gibt es einige Vorbehalte gegen die klimafreundlichen Alternativen. Doch der Wechsel wird immer attraktiver.
AUTOR: RALF HEIMANN
Wenn Lothar Serwas noch vor wenigen Jahren einen Kunden von einer Kälteanlage überzeugen wollte, die mit einem natürlichen Kältemittel betrieben wird, brauchte er sehr gute Argumente. Fast alle Kunden hatten Vorbehalte. „Da gab es eigentlich keine Ausnahmen“, erinnert sich Serwas. Die Kunden wollten Anwendungsbeispiele sehen, weil die Anlagen sehr komplex sind. Sie bezweifelten, dass genügend Ingenieure, Bauleiter und Servicetechniker verfügbar seien, um die Kälteanlagen in großer Zahl zu installieren und zu bedienen. Sie hatten Sorgen, dass der hohe Betriebsdruck beim Einsatz des Kältemittels Kohlendioxid (CO2) zu einer Gefahr für das Personal werden könnte.
Darum ging es in fast jedem Verkaufsgespräch. Doch mit der Zeit änderte sich das. Lothar Serwas hat diese Entwicklung in unterschiedlichen Funktionen erlebt. Er arbeitet seit 1995 für die Carrier Kältetechnik Deutschland GmbH in Köln. Der Kälteanlagen-Hersteller stattet den Lebensmitteleinzelhandel mit allem aus, was nötig ist, um Lebensmittel zu kühlen. In diesen letzten 24 Jahren hat sich der Wind auf dem Markt gedreht. „Es hat viel Mühe gekostet, die Menschen davon zu überzeugen, dass man natürliche Kältemittel in den Griff bekommen kann“, sagt Serwas. Doch die Mühe hat sich gelohnt.
Die überwiegende Zahl der Kühltruhen und Kühltheken in deutschen Supermärkten wird zwar immer noch mit herkömmlichen Kältemitteln betrieben. Aber wenn Carrier Kältetechnik heute einen Markt mit neuen Kälteanlagen ausstattet, dann fließen in den Anlagen so gut wie immer natürliche Kältemittel. „Das ist in den Köpfen angekommen“, sagt Serwas.
„Es ist in den Köpfen angekommen, dass man natürliche Kältemittel in den Griff bekommen kann.“
Carrier verwendet in seinen Produkten Kohlendioxid (CO2) sowie Propan (R290) bei sogenannten steckerfertigen Verkaufskühlmöbeln. Andere natürliche Kältemittel sind Ammoniak, Luft, Wasser und Kohlenwasserstoffe wie etwa auch Isobutan. All diese Substanzen haben den Vorteil, dass sie, wenn sie aus Kälteanlagen austreten, weder die Ozonschicht beschädigen noch sich negativ auf das Klima auswirken – im Gegensatz zu synthetischen Kältemitteln wie den vollhalogenierten Kohlenwasserstoffen (FCKW), die in Neugeräten seit mittlerweile knapp 30 Jahren verboten sind. Ab den 1990er-Jahren wurden als Ersatz fluorierte Treibhausgase (F-Gase) verwendet. Diese greifen zwar die Ozonschicht nicht an, tragen aber zur Erderwärmung bei. Deswegen will die EU ihren Einsatz bis 2030 um 70 Prozent verringern (im Vergleich zu 1990).
Das Bundesumweltministerium warnt auf der Seite kaeltemittel-info.de vor Versorgungsengpässen und Verkaufsverboten für besonders klimaschädliche Mittel. Die zukünftigen Kosten sind schwer abzuschätzen. Das bringt viele Unsicherheiten mit sich. Natürliche Kältemittel hingegen versprechen Investitionssicherheit. Doch auch sie sind keine perfekte Lösung, denn eine perfekte Lösung gibt es nicht. CO2 etwa, das Kältemittel, das bei Carrier in Supermarkt-Kälteanlagen zum Einsatz kommt, erfordert einen hohen Betriebsdruck. Daher müssen die Komponenten äußerst stabil sein, und das macht sie etwas teurer – wobei die steigende Nachfrage diesen Nachteil langsam ausgleicht.
Zudem ist CO2 geruchlos, und es verdrängt den leichteren Sauerstoff. Wenn es sich unbemerkt im Raum verteilt, können im schlimmsten Fall Menschen ersticken. Das stellt hohe Anforderungen an die Sicherheit. So müssen in allen Maschinenräumen Kältemitteldetektoren installiert werden, die optisch und akustisch Alarm schlagen, sobald eine bestimmte CO2-Konzentration erreicht ist. Steht eine CO2-Kälteanlage in einem geschlossenen Maschinenraum, muss eine Lüftung vorhanden sein, die entweichendes Gas gleich nach draußen transportiert.
Hinzu kommt ein ganzes Konvolut an Vorschriften und Regelungen. Viele davon gelten auch für herkömmliche Anlagen. Bei natürlichen Kältemitteln sind jedoch noch einige spezifische Eigenschaften zu berücksichtigen. „Im Wesentlichen müssen Sie darauf achten, dass das Kältemittel die Luft verdrängt, mehr oder weniger toxisch ist und vermischt mit Luft bei bestimmten Bedingungen entzündlich sein kann“, sagt Rainer Brinkmann, Technischer Support Industriekältetechnik bei der Johnson Controls System & Service GmbH in Mannheim.
Ammoniak zum Beispiel ist giftig und auch brennbar, hat aber durch seinen stechenden Geruch eine Art eingebautes Warnsystem. Nur bei größeren Anlagen ist eine Gaswarnanlage Pflicht. Die Anforderungen sind hoch, nach Brinkmanns Einschätzung jedoch gut zu bewältigen. „Das ist alles kein Hexenwerk“, sagt er.
In einigen Branchen waren natürliche Kältemittel schon immer wichtig.
„Aus der Industriekälte ist Ammoniak nie verschwunden, weil es so energieeffizient ist“, sagt Monika Witt, Geschäftsführerin der TH. WITT Kältemaschinenfabrik GmbH in Aachen und stellvertretende Vorsitzende des eurammon e.V., Frankfurt, der sich für den Einsatz natürlicher Kältemittel stark macht.
Die Energiebilanz ist ein wichtiges Argument. „Der gesamte Einfluss von Kälteanlagen auf die Klimaerwärmung geht zu 80 Prozent auf den Energieverbrauch zurück“, sagt Monika Witt. „Mit klimafreundlichen Kältemitteln, die auch noch energieeffizient sind, schonen wir das Klima doppelt.“ Zudem wird so aus dem anfänglichen Nachteil, dass die Anlagen in der Anschaffung noch etwas teuer sind, auf Dauer ein Kostenvorteil.
Viele Vorbehalte gegenüber natürlichen Kältemitteln hält Witt für irrational. „Der Gedanke an wenige Gramm Propan in einer Autoklimaanlage lässt uns erschauern. Aber 50 bis 70 Liter brennbare Flüssigkeit im Tankraum machen uns keine Sorgen“, sagt sie. Tausende von Tankstellen in Europa seien der Beweis dafür, dass es möglich ist, sicher mit brennbaren und explosiven Stoffen umzugehen. Und anders als bei Tankstellen kümmerten sich um die Bedienung der Kälteanlagen ja auch keine ungeschulten Benutzer. Das sei schließlich gut ausgebildetes Fachpersonal.
„Mit Kältemitteln, die klimafreundlich und energieeffizient sind, schonen wir das Klima doppelt.“